„Die einzige Möglichkeit in der Welt,
auf die schreckliche Hartnäckigkeit von Verbrechen zu reagieren, ist durch hartnäckige Geständnisse…!“

 

(IBUKA)

 

 GENOZIDGEDENKSTÄTTEN IN RUANDA

  

Ruandas Geschichte des 20. Jahrhunderts ist geprägt durch eine Reihe von Konflikten, basierend auf ethnischen Spannungen nach Beginn des europäischen Kolonialismus.

 

Rassenideologien und Diskriminierung wurden verbreitet und verstärkten das Zerwürfnis durch Einführung von Ausweisen, die die ethnische Zugehörigkeit eines jeden fest-legten.

 

Nach der Unabhängigkeit Ruandas 1962 wurden die Tutsi, die vorher von begünstigten Positionen profitierten, zu Opfern staatlich geschürter Diskriminierung. In den folgen-den Jahrzehnten kosteten diverse Auseinandersetzungen Tausende von Menschenleben.

 

Verschiedene Verträge – wie der N’Sele-Vertrag (Zaire) vom 29. März 1991 – wurden zwischen der Ruandisch Patriotischen Front (RPF) und der ruandischen Regierung ausgehandelt.

 

Am 6. April 1994 kehrte der ruandische Präsident Habyarimana aus Arusha in Tansania zurück, wo er erneut einen Friedensvertrag unterzeichnet hatte. Kurz vor der Landung in Kigali wurde sein Flugzeug abgeschossen – und sein Tod markiert heute den Beginn der traumatischsten Zeit in der Geschichte Ruandas.

 

Bewaffntete Milizen, bekannt als Interahamwe – ein Kinyarwanda-Wort für “die, die zusammenhalten” – führten innerhalb von Stunden nach dem Flugzeugabsturz überall im Land Massaker durch. Sowohl Tutsi als auch oppositionelle Hutu wurden von der Präsidentengarde verfolgt und ermordet. Sie unterrichteten auch die Interahamwe in Methoden des Massenmordes und trichterten ihnen den Hass auf die Tutsi ein.

 

Der Genozid war ein über Monate im Voraus geplante Aktion.  Todeslisten von Tutsi und moderaten Hutu wurden veröffentlicht, und größtmögliche Grausamkeit kennzeichnete die Morde von Beginn an. Mit Macheten, Äxten, Gewehren und Granaten wurden die Menschen totgeschlagen, verbrannt, lebendig begraben, ertränkt und vergewaltigt. Viele Tutsi suchten Schutz an Orten, die ihnen Schutz versprachen: Krankenhäuser, Kirchen und Schulen.  

 

Hilfe wurde auch an Orten erwartet, wo die UN oder internationale Organisationen ihren Sitz hatten. Nach der Ermordung von zehn belgischen Soldaten am 7. April im Camp Kigali wurden jedoch die meisten Ausländer evakuiert – und ließen ihre ruandischen Freunde und Kollegen zurück. Damit hatten die militanten Hutu genau das erreicht, was sie beabsichtigten.  

 

Innerhalb von 100 Tagen wurden mehr als eine Million Menschen massakriert – die letzte offizielle Zahl, veröffentlicht im Februar 2002, beläuft sich auf 1.074.017. Viele Opfer endeten in Massengräbern, Tausende nicht identifizierter Knochen werden noch immer überall im Land gefunden.  

 

Einige der Massengräber werden nun nach Hinweisen der Täter entdeckt, die in den Gacaca-Prozessen ihre Aussagen machen.

 

Dieses traditionelle Rechtssystem wurde mit einbezogen, um das enorme Kontingent der Anhörungen von mehr als 130.000 tatverdächtig Inhaftierten bewältigen zu können. Die im August 2003 neu gewählte Regierung ermutigt die ruandische Bevölkerung zur Ver-söhnung, zu einem friedlichen Zusammenleben und einem gemeinsamen Aufbau der erschütterten Nation. 

 

Der Genozid im Jahre 1994 in Ruanda hat mehr als eine Million Menschen das Leben gekostet, andere wurden verletzt oder missbraucht, und die Erinnerung an diese Morde, das Foltern und die systematische ethnische Säuberung wird für immer bestehen bleiben.

 

Überall in Ruanda existieren Gedenkstätten des Genozids, entstanden an Orten, wo Massengräber errichtet wurden, an den Schauplätzen des Schlachtens und des Horrors.

 

Man ist sich der Wichtigkeit, diese Gedenkstätten zu erhalten, bewusst sowie der Bedeutung, die diese in Bezug auf Erinnern und Lehren spielen.

 

Die ruandische Regierung konzentriert sich, mit Unterstützung verschiedener internationaler Partner, auf sieben der größten Gedenkstätten, um aus ihnen Zentren des Lernens, Reflektierens, des Friedens und der Versöhnung zu schaffen – eine mahnende Erinnerung an die grausamen Ereignisse in diesem Land.

 

Die vorliegende geben einen Überblick über einige dieser Gedenkstätten, ihre Geschichte, Bedeutung und Herausforderung.

 

BISESERO

 

 Im Westen des Landes liegen die Hügel von Bisesero, berühmt geworden durch den Kampf und den Widerstand der lokalen Bevölkerung während des Genozids.

 

Die strategisch günstige Lage zwischen steilen Felsen und Wäldern mit Höhlen sowie der Ruf der lokalen Tutsi, der Abasesero, ließ viele Bewohner der umliegenden neun Distrikte hier Zuflucht suchen und sich gegen die angreifenden Hutu-Milizen ver-teidigen. Die Abasesero sind traditionell Viehzüchter und wussten sich und ihre Herden gegen Außenstehende zu verteidigen. Ihre Kenntnisse der bewaffneten Verteidigung konnten sie bereits erfolgreich in den Völkermorden der Jahre 1959, 1962 und 1973 anwenden.

 

Die Kämpfe von 1994 wurde bekannt als “Krieg der Steine gegen Munition”. Mit ein-fachen Waffen wie Felsbrocken, Stöcken und Speeren schafften sie es zunächst, sich zu verteidigen und so lange wie möglich Widerstand zu leisten.

 

Doch letztendlich waren die Flüchtlinge kein Hindernis für die Mächte des Genozids. Etwa 50.000 Menschen wurden in Bisesero umgebracht, zunächst hauptsächlich Frauen und Kinder, die nicht schnell genug laufen konnten, um sich in den Wäldern zu ver-stecken, während die Männer kämpften. Aus den umliegenden Gebieten flohen die Menschen nach Bisesero, aus Orten wie Mugonero bei Kibuye, wo am 16. April 2.000 Tutsi1 umgebracht wurden, nachdem sie in Kirchen und Hospitälern Hilfe gesucht hatten. Wer entkam lebte ein Leben zwischen Rennen und Verstecken. Nachts ver-suchten sie, im Tal etwas Essbares von den Feldern zu stehlen. Falls es ihnen nicht gelang, mussten sie sich wie Tiere von Gras ernähren. Schließlich starben viele an Hunger oder dadurch, dass sie zu schwach zum Kämpfen waren.

 

Der Mut und der Widerstand der Tutsi verlängerten und intensivierten ihr Leiden, da es beinahe ein Staatsanliegen wurde, sie alle zu töten.

 

Ende Juni lebten nur noch rund 2.000 Tutsi. Am 26. Juni schien sich Hoffnung in Form der französischen Truppen der „Opération Turquoise“ zu nähern. Deren Versprechen, drei Tage später zurückzukehren sollte der Tod etwa der Hälfe der Überlebenden werden, rund 1.000 Menschen, die ihr Vertrauen in die Hilfe der französischen Soldaten gelegt hatten.

 

Kibuye war einst die Präfektur mit der höchsten Tutsi-Bevölkerung. 80% von ihnen wurden in einem Zeitraum von weniger als drei Monaten ausgelöscht.

 

Obwohl hier für die Gruppen der Täter und Opfer weitgehend die Kategorien Hutu und Tutsi verwendet werden, sind diese Begriffe zu pauschal. Es ist bekannt, wenn auch nicht sehr verbreitet, dass ebenso Tutsi an den Morden beteiligt waren, genauso wie sich unter den Opfern moderate Hutu befinden oder Personen, die sich weigerten, ebenfalls zu töten.

 

Auf dem Muyira Hügel – der bereits ein Ort des Widerstandes in den Jahren 1962 und 1973 wurde –, und wo wiederum 1994 die meisten der Kämpfe stattfanden, ist eine Gedenkstätte errichtet worden, bestehend aus neuen Häuschen, in drei Gruppen von drei, als Symbol für die neuen Distrikte der Gegend. Es wurde von einem lokalen Tutsi-Architekten entworfen und durch die ruandische Regierung finanziert. Die Gebäude sind durch einen Pfad miteinander verbunden, der im Zickzack den Hügel hinauf führt. Dieser zentrale Pfad führt längs durch die Häuser hindurch und endet auf dem Gipfel. Hier wurde ein großes Massengrab errichtet, komplett mit weißen Fliesen bedeckt.

 

Viele menschliche Überreste wurden noch im Nachhinein in den umliegenden Wäldern und auf den Hügeln entdeckt. Zurzeit werden sie in einem provisorischen Gebäude auf-bewahrt, auf einem mit Plastikplane überspannten Holzgerüst. Diese Überreste werden in den neuen Häuschen ausgestellt, auf Regalen an beiden Seiten des Pfades.

 

Es ist geplant, hier eine Ausstellung mit pädagogischem Programm speziell für junge Leute zu entwickeln und zu installieren. Schulen sollen das Programm in ihr Curriculum aufnehmen, um über die Ursprünge und den Verlauf des Genozids zu informieren. Durch Demokratie, nationale Einheit und Versöhnung soll eine Veränderung innerhalb der Gesellschaft bewirkt werden.

 

Die Gedenkstätte wirkt als Friedhof für viele Familien in der Gegend. Würde, Platz zum Trauern und Respekt für die Familien sind die obersten Prinzipien, doch ebenso besteht die Möglichkeit, am Leben des Zentrums teilzunehmen.

 

GISOZI

 

Das Kigali Memorial Centre in Gisozi ist eine kollektive Grabstätte und eine Erinnerung an die mehr als 250.000 Menschen, die in der ruandischen Hauptstadt zwischen April und Juli 1994 ermordet wurden.

 

In den Hügel wurden große Gräber eingelassen, wo die meisten Opfer beerdigt wurden, die man in den Straßen gefunden und hergebracht hat, die aus flacheren Gräbern exhumiert oder aus Gräben geborgen, oder die hier durch überlebende Familien-mitglieder bestattet wurden. Einige Überreste hat man in Glasvitrinen innerhalb des Gebäudes gelegt.

 

Die Stadt Kigali hat Bemühungen unternommen, an diesem Ort eine permanente internationale Gedenkstätte und ein Bildungszentrum einzurichten.

 

Mit Hilfe von Aegis Trust und verschiedenen internationalen Geldgebern wurde eine Gedenkstätte errichtet mit einer  Dauerausstellung zur Geschichte des Genozids, einer Ausstellung zur Erfahrungen von Kindern während der Massaker und mit Informationen zu verschiedenen Völkermorden, die in den vergangenen 100 Jahren die Welt erschüttert haben.  

 

Zusätzlich stehen hier Möglichkeiten für Seminare und schulische Besuche zur Verfügung, ein weiteres Gebäude beinhaltet das nationale Dokumentationszentrum mit einer Bücherei zum Thema Genozid, einem Archiv mit Dokumenten und Artefakten, dem nationalen Gacaca-Archiv sowie einem Studienzentrum.

 

MURAMBI

 

In Südwest-Ruanda, in der Provinz Gikongoro, wurden innerhalb eines Zeitraumes von drei Tagen zwischen dem 18. und 20. April 1994 etwa 50-60.000 Menschen umgebracht.

 

Murambi besteht aus einer staatlichen technischen Schule, die niemals ihren eigent-lichen Zweck erfüllt hat und ihn auch niemals erfüllen wird.

 

Tutsi der umliegenden Gebiete wurden durch den lokalen Bürgermeister dazu aufge-fordert und ermutigt, hierher zu kommen, da die Schule als sicherer Ort und Zufluchts-stätte galt.

 

Ein langer Zaun vermittelte ein Bild von Sicherheit – aber letztendlich bildete er die Gefängnismauer für alle, die sich hier verborgen hielten.

 

Nach drei Tagen und dem Versprechen des Bürgermeisters, zurückzukommen, kehrte er in der Tat zurück – mit Lastwagen voller Soldaten und Milizen. Vorher hatte er alle Hutu der Gegend zu sich beordert, um ihnen keine Gelegenheit zu geben, hilfesuchenden Tutsi Zuflucht zu geben. Die kräftigsten Männer und Frauen wurden zur Schule zurück-geschickt, um „ihre Arbeit zu tun“.

 

Am Eingangstor der Schule selektierte der Kontrollposten Frauen und Mädchen aus den heranströmenden Tutsi und nahm sie zur Seite – um sie brutal und gewaltsam zu miss-brauchen.

 

Viele verschiedene Foltermethoden wurden angewandt. Frauen brach man die Beine, damit sie nicht weglaufen konnten, Männern band man Hände und Füße zusammen und ihr Kreuz wurde so lange gedreht, bis es brach.

 

Es wird gesagt, dass nur vier Leute diese Massaker überlebten. Da jedoch Überlebende meist die Gegend verlassen haben, kann man annehmen, dass vereinzelt noch weitere Personen dem Grauen entkommen konnten.

 

Die Opfer hat man in Massengräbern bestattet und nach zwei Jahren zum Teil wieder exhumiert. In vier der zwölf Schulgebäude liegen die mehr oder weniger mumifizierten Leichen auf hölzernen Bänken. Sie wurden mit Zitrone und Insektiziden behandelt, um sie zu konservieren. Die gebrochenen Beine und zusammengebundenen Hände kann man noch immer deutlich erkennen, einige der Körper haben noch immer ihre Kleidung an.

 

Zur selben Zeit wie in Murambi haben auch an vielen anderen Orten der Gegend Menschen die gleichen Schrecken und Massaker erlebt. An der Kirche im nahen Cyanika hat man drei große Massengräber mit je etwa 2.000 Opfern errichtet.

 

Die Ausbreitung und der organisierte Charakter des Genozids werden deutlich, wenn man die Daten der Massenmorde in der Region vergleicht. Oft stimmen die Daten überein oder unterscheiden sich nur durch einen Tag.  

 

Die Gedenkstätte soll ein Mahnmal der Geschehnisse sein, ein Vermächtnis an die Lebenden und ein historischer Ort für die kommende Generation. Sie erzählt ihre eigene Geschichte durch die Körper, die dort liegen bleiben, wo sie sind.

 

Die Gebäude mit den menschlichen Überresten sollen zu deren Schutz mit Türen und Fenstern ausgestattet werden.

 

Während man die meisten der Gebäude leer stehen lässt, wird das Hauptgebäude der Schule ein Internationales Genozid Präventionszentrum beheimaten, Afrikas erstes Zentrum mit Schwerpunkt auf der Vermeidung von Völkermorden, sowie zur Doku-mentation des Genozids in der Gegend von Gikongoro.

 

Hier werden nationale Veranstaltungen, internationale Symposien und Workshops abgehalten, eintägige und mehrtägige Seminare und die Möglichkeit zum Lernen und Studieren. Es ist eine dauerhafte Anbindung an die Universität Butare geplant, wodurch Forscher und Studenten zum Wissen über Ursachen und Konsequenzen von Völker-morden sowie zum Verständnis, wie diese zu vermeiden sind, beitragen können.

 

Im Erdgeschoss wird eine Dauerausstellung zu verschiedenen Epochen der ruandischen Geschichte installiert, sowie eine Dokumentation der Aussagen von Opfern und Tätern des Genozids. Einige der menschlichen Überreste werden hier ausgestellt, andere werden in einem Grab nahe dem Hauptgebäude beerdigt.

 

Die Gedenkstätte ist für viele Menschen in Gikongoro ein Friedhof. Der Zugang für die lokalen Familien bleibt gewährleistet, ebenso wie die Möglichkeit, sich am Leben des Zentrums zu beteiligen.

 

NTARAMA

 

Genozid-Stätte: 5.000 Personen – steht auf dem Schild vor der Kirche von Ntarama inmitten ländlicher Gegend südlich von Kigali, der sogenannten Bugesera. Große Löcher zeichnen die Wände der drei Gebäude.

 

Bereits 1992 war der Ort Szenarium eines anderen, gründlich organisierten Massakers.

Daher waren sich die Tutsi der Gegend der Gefahr der Massenmorde bewusst. Aufgrund der hohen Anzahl an Tutsi nach diversen Umsiedlungen hatten sie einen Ruf als ein starker Zusammenhalt. Von Seiten der Extremisten schien die Notwendigkeit einer systematischen militärischen Kampagne deutlich zu sein.

 

Mit Steinen, Pfeil und Bogen konnten sich die Tutsi erfolgreich eine Woche lang von 15. bis 22. April verteidigen. Frauen, Kinder und ältere Leute flohen in die Kirche, während die Männer die Stellung hielten. Dann schließlich tauchten bewaffnete Soldaten auf. Die stärkeren Tutsi rannten zu den Sümpfen und versuchten, sich wochenlang im Schilf oder im Wasser zu verstecken. Viele starben hier, einige überlebten. Wer in der Kirche übrig blieb, waren hauptsächlich Ältere, Kranke, Frauen und Kinder.

 

Die Interahamwe griffen die Kirche an, sie schlugen Löcher in die Wände und warfen Granaten hinein. Unter ihnen waren auch Frauen und Jungen, die kleinere Kinder zu Tode schlugen. Die Türen wurden verschlossen, so dass die lokale Bevölkerung, die hierher geflohen war, um Schutz zu finden, keine Chance mehr hatte zu entkommen. Mit Macheten, Messern und Äxten begann das Massaker – und setzte sich fort, von Kirchen-bank zu Kirchenbank. Erschöpfte Hutu überließen die „Arbeit“ ihren erholten Kollegen. Einige Opfer fragte man nach Geld, bevor man sie doch tötete. Nur wenige überlebten – unter den Haufen der toten Körper.

 

Die Cyugaro Primarschule unweit von Ntarama war ein weiterer Ort der Massaker, wohin die Angreifer gingen, nachdem sie in der Kirche fertig waren. Da sie Interesse an Plünderungen hatten, kamen sie täglich zurück und suchten neue Opfer.

 

Die Körper, die identifiziert werden konnten, hat man in einem Grab hinter der Kirche bestattet, die anderen wurden zur Mahnung an das Geschehene dort gelassen, wo sie lagen.

 

Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Bücher, Geldbeutel, Thermosflaschen, sowie Kleidungsstücke, Schuhe und Puppen liegen durcheinander zwischen den Kirchenbänken.

 

Diese Gegenstände sind vermischt mit Knochen in allen Größen, menschlichen Über-resten, einzelnen Stücken als Zeugen des Unheiligen dort, wo die Menschen sich dem Schutz Gottes anvertrauten.

 

Die Schädel wurden gesammelt und an der einen Seite der Kirche sauber gestapelt. Andere Knochen wurden in großen Säcken verstaut, die an der Seite oder in den anderen Gebäuden lehnen.

 

Obwohl die Knochen in einem recht guten Zustand sind, muss die Stätte aufbereitet werden, da es dem Wunsch der lokalen Bevölkerung entspricht, sie so zu belassen, wie sie jetzt ist.

 

Einige der größeren Löcher wurden bereits verschlossen und das gesamte Grundstück umzäunt, um zu verhindern, dass Tiere eindringen können.

 

Zwei Wächter, ein alter Mann und eine Frau, gehören zu den wenigen Menschen, die das Massaker überlebt haben – unter den Körpern der Toten liegend. Nun wachen sie über die Knochen ihrer Verwandten und Freunde, reinigen diese und bitten Besucher, sich in das Gästebuch einzutragen.  

 

In dem Gebiet um die Kirche von Ntarama, den drei Kommunen der Kanozi Sub-Präfektur, lebten bis 1994 etwa 100.000 Menschen. 32.000 von ihnen waren Tutsi. Während des Genozids flohen die meisten von ihnen in Kirchen wie Ntarama und Nyamata, ein paar Kilometer weiter. Nur rund 2.000 Tutsi haben in den drei Kommunen überlebt. 

NYAMATA

 

Das Dach ist durchsiebt von Gewehrkugeln und Granatensplittern. Blutspuren sind überall erkennbar, auf dem Altartuch ebenso wie an den Wänden, auf dem Boden und dem Taufbecken.

 

Die Kirche von Nyamata ist einer der vielen Orte in Ruanda, die das Leiden und den Schmerz tausender Menschen reflektieren. Mit Unterstützung des lokalen Bürger-meisters und Sub-Präfekten wurden sie getötet, verfolgt und in die Gemeinde ge-trieben. Viele flohen in die Kirche in Hoffnung auf Schutz und Sicherheit. Ein weißer Priester gab ebenfalls Anlass zur Hoffnung. Eine Woche später fuhr er davon und ließ Tausende von Menschen zurück, während Soldaten und die Interahamwe bereits warte-ten.

 

Menschenmassen waren in der Kirche, rund 10.000 Körper, die sich dort zusammen-quetschten, während andere sich draußen auf dem Gelände gesammelt hatten.

 

Die Angreifer agierten hauptsächlich von außerhalb des Gebäudes durch das offene, luftdurchlässige Mauerwerk. Anschließend beendeten sie ihre Tat mit Macheten inner-halb der Kirche.

 

Andere Tutsi waren in die benachbarte Frauenklinik geflohen, die ebenfalls für sicher gehalten wurde, in der Annahme, dass es keiner wagen würde, schwangere Frauen und Neugeborene zu töten. Auch Menschen, die das Massaker in der Kirche überlebt hatten oder verwundet waren, kamen hierher oder wurden gebracht. Zuerst wurden die Männer und Jungen aus der Klinik herausgeholt und von den Interahamwe getötet. Schließlich ließ man die Hutu Frauen gehen und öffnete so das Feld, die  übriggebliebenen Menschen zu massakrieren.

 

Beinahe jeder, der in der Kirche oder der Klinik Zuflucht gesucht hatte, wurde getötet.

Innerhalb der Kirche ist eine Krypta mit diversen menschlichen Überresten in einer Glasvitrine. Hinter der Kirche wurden unterirdische Massengräber errichtet. In diesen Gräbern liegen die Knochen auf hölzernen Regalen, andere lagern in einem kleinen Raum in der Kirche.

 

56 Körper konnten identifiziert werden. Ihre Namen schmücken einen großen schwarzen Stein hinter den Gräbern.  

 

Nach dem Genozid wurde das Gebäude von der Katholischen Kirche der ruandischen Regierung überschrieben, um darin eine Gedenkstätte stellvertretend für alle Kirchen zu errichten, in denen die Menschen während des Völkermordes abgeschlachtet wurden.  

 

Noch immer werden in der Gegend mehr und mehr Massengräber gefunden, auch durch die anhaltenden Gacaca-Prozesse, in denen die Täter gestehen, wo die Getöteten be-graben wurden. Die Opfer werden geborgen und in der Kirche aufgebahrt, bis sie eben-falls in Massengräbern auf dem Grundstück der Kirche bestattet werden.

 

Hier soll ein Bildungszentrum mit einer Ausstellung, Konferenzräumen und einer Biblio-thek entstehen. Persönliche Trauer und gemeinsames Gedenken finden ebenso Platz wie Dokumentation, Forschung, Bildung und auch Tourismus. Es soll daher allen Erwartungen der verschiedenen Besucher gerecht werden. Lokale Familien werden ebenso kommen wie Gäste von außerhalb. Das Hauptanliegen ist, die Würde der Opfer zu bewahren, Respekt für ihre Familien, Platz zum Erinnern und zum Trauern.  

 

NYANZA  

 

Aufgrund der Anwesenheit der UNAMIR (United Nations Assistance Mission in Rwanda) Streitkräfte wurde der Ort als einer der sichersten der Stadt angesehen. Die Berufs-schule École Technique Officiel (ETO) in Kicukiru, Kigali, ist eine von katholischen Salesianerpriestern geleitete Einrichtung, weshalb etwa 2.500 Menschen dort hingingen, um nach dem Tod des Präsidenten am 6. April 1994 Schutz zu suchen.

 

Doch ihnen war nicht klar, dass der politische Wille, sie zu verteidigen, nicht vorhanden war. Am 11. April zogen die belgischen UN Truppen ab und überließen Tausende den sicheren Tod durch die Interahamwe-Milizen.  

 

Wer überlebte, floh nach Nyanza, nur um dort kurze Zeit später doch getötet zu werden.

 

Das Morden begann sofort nach dem Tod von Präsident Habyarimana, und den Menschen in Kigali wurde schnell deutlich, dass ihr Leben durch die Interahamwe-Milizen und Soldaten der Regierung bedroht war. Den in Kicukiru lebenden Hutu händigte man Gewehre aus und unterwies sie in ihrem Gebrauch. Straßensperren wurden errichtet und der Befehl ausgegeben, alle Tutsi und oppositionellen Hutu zu töten.

 

Viele flohen an Orte wie die ETO, wo neunzig belgische Soldaten stationiert waren – an anderen Orten wären sie vermutlich sicherer gewesen. Als die Zahl der Flüchtlinge in der ETO anwuchs, schloss man die Tore - 800 Menschen blieben draußen.

 

Ohne die Menschen in der Schule vorzuwarnen, bereiteten die UNAMIR-Soldaten für den 11. April ihren Abzug vor. Alle, die Schutz bei ihnen gesucht hatten, ließen sie ohne Informationen, Unterstützung und Rat zurück. Ihnen blieb keine Zeit, ihre Flucht zu planen.

 

Frühere Angriffe der Interahamwe, die die UN-Soldaten abwehrten, hatten die Notwendigkeit ihrer Anwesenheit bewiesen. Die Staubwolken hinter den abziehenden UN-Fahrzeugen sollen noch sichtbar gewesen sein, als die Massaker begannen.  

 

Wer den Mördern zunächst entkam, musste erkennen, dass alle Wege durch die Interahamwe blockiert waren. Der einzige Weg, der offen blieb, führte zur „Sonatubes“-Fabrik, wo man schon viele andere festhielt. Weil dieser Ort für ein Massaker zu öffentlich gewesen wäre, zwang man die Menschen nach Nyanza zu laufen. Auf dem Weg dorthin wurden immer wieder Frauen aus der Menge herausgeholt, um sie zu vergewaltigen und zu ermorden. Wer zu fliehen versuchte, wurde sofort getötet. In Nyanza wurden sie bereits von weiteren Soldaten und Interahamwe erwartet.  

 

Den Hutu, die noch in der Menge waren, befahlen sie zu fliehen. Nach Ablauf einer halben Stunde begannen sie auf die Menge zu schießen und Handgranaten zu werfen. Der Rest wurde mit Macheten, Äxten, Knüppeln und Speeren erledigt. Einige wenige rettete die Dunkelheit.  

 

Ibuka, die nationale Vereinigung der Überlebenden des Genozids, hat in Nyanza ein Denkmal errichtet: 851 Holzkreuze kennzeichnen ein Grab, in dem die Opfer aus den Massengräbern der näheren Umgebung ihre letzte Ruhe gefunden haben.  

 

Die Menschenrechtsvereinigung Kanyarwanda hat am gleichen Ort ein weiteres Denkmal errichtet, das an die erinnert, die wegen ihres Engagements getötet wurden. Unter ihnen ist auch der Gründer von Kanyarwanda, Fidèle Kanyabugoyi, der mit seiner Frau unter den Menschen in ETO war und am 12. April in Nyanza starb.

 

Auf einem direkt an die Gedenkstätte angrenzenden Gelände, wo eines der Massengräber entdeckt worden ist, soll ein “Garten der Erinnerung” angelegt werden: Steine und Bäume werden dort an all diejenigen erinnern, die in der Umgebung von Nyanza getötet wurden.  

 

NYARUBUYE 

 

Im Osten Ruandas, in der an Tansania angrenzenden Provinz Kibungo liegt Nyarubuye.

Hier befinden sich auf einem Hügel eine Schule und eine riesige Kirche.

 

Mitte April 1994 war diese der Schauplatz eines weiteren furchtbaren Massakers. Die Übergriffe begannen auf dem Marktplatz von Nyarubuye. Tutsi wurden von einer Gruppe Hutu gejagt, unter ihnen viele, die sie gut kannten. Sie flohen in die Kirche, um dort Schutz zu suchen. Aber nicht Hilfe, sondern der Tod wartete dort auf sie.

 

Der gesamte Kirchplatz war überfüllt mit Menschen, etwa 4000. Sobald sie im Innern des Gebäudes gefangen waren, eröffneten die Hutu, die das Gebäude umstellt hatten, mit Gewehren und Handgranaten das Feuer auf sie. Nur neun Menschen sollen überlebt haben.

 

Überall lagen Leichen, in den Höfen, in den Klassenzimmern und in der Kirche. Die Opfer wurden nicht sofort begraben, sondern zunächst nur aufeinander gestapelt. Die Überreste des größten Teils der Opfer begrub man später in einem Massengrab auf dem Friedhof.

 

Rund 350 von ihnen wurden eine Zeitlang ausgestellt, dann aber ebenfalls bestattet. 1997 wurden diese Überreste dann wieder ausgegraben, gesäubert und in einem Ge-bäude neben der Kirche ausgestellt, das den Benebikira Schwestern als Kloster gedient hatte.

 

Diese Räume waren ein weiterer Schauplatz besonders grausamer Morde. Jetzt sind sie eine Gedenkstätte für den Genozid.  

 

Nyarubuye war die erste Gedenkstätte des ruandischen Völkermordes, die international bekannt wurde. Zunächst 1995 durch den Besuch des damaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Dr. Boutros Boutros Ghali, später durch den Besuch weiterer bekannter Politiker und Persönlichkeiten.

 

Die Gedenkstätte besteht aus drei Gebäudeflügeln, die einen stillen und – so unpassend das Wort in diesem Zusammenhang erscheint – friedlichen“ Hof umgeben.

 

In einem der Gebäude, einem langen Gang mit zum Hof hin ausgerichteten Nischen, sind die Überreste der Toten auf Holzregalen ausgestellt. Das Dach ist stark renovierungs-bedürftig, es ist aufgrund von Baufehlern teilweise eingestürzt.

 

Für die Gedenkstätte ist geplant, eine feste Ausstellung einzurichten und besonders für Jugendliche ein pädagogisches Programm anzubieten.

 

Die Kirche selbst dient, nachdem die Toten aus ihr entfernt und sie „gereinigt“ wurde, heute wieder als Gottesdienstraum für die Gemeinde.